Vom Streben nach Besserung

„Aber die Größe des Menschen liegt gerade darin, das Bestehende bessern zu wollen, sich Aufgaben zu stellen“ (S. 84) das erkennt i Ti Noel, die zentralen Person, die den Lesenden durch das vorliegende Buch „Das Reich von dieser Welt“ von Alejo Carpentier begleitet.

Das Leben, die Welt verbessern zu wollen, genauer seinen eigenen Zustand zu verändern, Widerstand zu leisten gegen Unterdrückung und Gewalt – das ist ein zentrales Thema in dieser Geschichte, die 1949 veröffentlicht und zum ersten Mal in deutscher Sprache 1964 erschienen ist.

Ti Noel, ist Sklave eines französischen Plantagenbesitzers auf Saint Domenigue (später Haiti). Durch ihn erfahren wir vom Schicksal der Sklaven, wir erfahren von Mackandal und von der Magie die das Leben der Sklaven umgibt. Mit Ti Noel erleben wir die Aufstände in Folge der französischen Revolution, die Situation der Plantagenbesitzer, die haitische Revolution und die Gewaltherrschaft durch Henri I., dem schwarzen, ehemaligen Sklaven und Koch Henri Christoph.

Die haitische Revolution und ihre Folgen veränderten die Machtverhältnisse, schufen aber keine wirkliche Freiheit für die Sklaven. Nach den Franzosen und der Sklavensituation, wurden die Sklaven in die Freiheit entlassen, wurden dann aber zu Zwangsarbeit unter der Herrschaft des selbsternannten Königs, eingezogen. Für Ti Noel ist die neuerliche Erfahrung der Unfreiheit schlimmer als die frühere: „Viel schlimmer noch, denn es lag ein unendliches Elend darin, von einem Schwarzen geschlagen zu werden, der so schwarz ist wie man selber, … mit dem gleichen Eisen gebrandmarkt war wie man selber.“ (S. 56)

„Das Reich von dieser Welt“ ist ein Text aus dem Bereich des magischen Realismus, eines Stils, der versucht die Geschichte und Kultur Lateinamerikas aus dem Blickwinkel, der Lebenswirklichkeit der indigenen Bevölkerung, im Kontext ihrer Magie- und Religionsvorstellungen, zu beschreiben (vgl. Uwe Durst).

Und diese magischen Welten und Vorstellungen prägen dieses Buch. So hat der Sklave Mackandal als Magier und Anführer eine zentrale Rolle, die er nicht nur als Agitator der ersten Aufstände ausfüllt. Als ein Magier der mit den Göttern in Verbindung steht geht seine Präsenz über seinen menschlichen Tod hinaus. Mackandal ist die zentralen Figur im Widerstand und Bindeglied zur Vergangenheit der indigenen Bevölkerung. Diese Magie Mackandal und damit die Hoffnung und den Glauben an eine gute Zukunft prägt Ti Noel, aber auch allgemein die indigenen Bevölkerungsgruppen.

Den Text habe ich mit einer inneren Spannung gelesen und ihn schnell beendet, nicht nur weil er gerade mal 84 Seiten umfasst, sondern weil er einen richtig gefangen nimmt. Der Text hat mich mit seiner Wortgewalt und Bildsprache hineingezogen in das Geschehen vor über 200 Jahren; trotz der anfänglichen Irritation angesichts der vielen Magie und der für mich befremdlichen Weltvorstellung (Voodoo). Irgendwie lässt sich diese magische Welt hier als eine mögliche Wirklichkeit akzeptieren.

Was mich aber noch mehr fasziniert ist diese geschichtliche Kraft des Textes. Der menschliche Kampf zur Befreiung aus der Unmenschlichkeit der Menschen, die Sehnsucht nach Freiheit, die immer wieder umschlagen kann in ein Streben nach einer Freiheit für wenige, zur Unterdrückung von vielen. Das anfangs erwähnte Streben nach Besserung zeigt sich hier als eine Grundhaltung der Menschen, die wirklich vorhanden ist, die aber, das zeigt nicht nur diese Geschichte, eben nicht per se zu einem Streben nach Besserung für alle Menschen führen muss. Auch nicht, wenn farbige Regieren, oder Menschen mit Anfangs hohen Zielen. Die Korruption der Macht ist stark.

Der Text zwingt dazu zu akzeptieren, dass es neben der rein rationale und reflektierten Ebene eben auch eine andere Wirklichkeit im Leben gibt. Auch wenn das manchmal schwer auszuhalten ist. Sowohl mit dem Blick auf die Magie, wie mit dem Blick auf die Gewalt von Menschen gegen Menschen, die doch zutiefst unlogisch ist, weil jede Gewalt von Menschen gegen Menschen nicht nur die unterdrückten als Menschen negiert sondern auch die Unterdrückenden ausgrenzt aus der Gemeinschaft der Menschen.

Dieser kurze Roman hat mich fasziniert. Er hat mir neben geschichtlichen Blickwinkeln, einen Horizont geschenkt, den ich bisher nicht oder kaum kannte. Daher lohnt sich dieser Text zu lesen, der 2021 in einer neuen Ausgabe bei Suhrkamp erschienen ist.

Carpentier, Alejo; das Reich von dieser Welt. Berlin 2021. 10€.

Literatur: Durst, Uwe; „Begrenzte und entgrenzte wunderbare Systeme: Vom Bürgerlichen zum ‚Magischen‘ Realismus“, in: Lars Schmeink / Hans-Harald Müller (Hg.); „Fremde Welten: Wege und Räume der Fantastik im 21. Jahrhundert“. Berlin, Boston 2012. S. 57–74.

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