Mandelzweig

„Freunde, dass der Mandelzweig wieder blüht und treibt,
ist das nicht in Fingerzeig, dass die Liebe bleibt?
Dass das Leben nicht verging, so viel Blut auch schreit,
achtet dieses nicht gering in der trübsten Zeit.
Tausende zerstampft der Krieg, eine Welt vergeht.
Doch des Lebens Blütensieg leicht im Winde weht.
Freunde, dass der Mandelzweig sich in Blüten wiegt,
das bleibt mir ein Fingerzeig für des Lebens Sieg.“

1942 wurde dieser Text geschrieben, von Shalom Ben-Chorin, zu einer Zeit ohne Hoffnung, zu einer Zeit, in der alles dunkel und unheilvoll war für Ben-Chorin. Er war selbst zwar in relativer Sicherheit, aber sein Volk, seine Familie, seine Freunde waren in Gefahr. Alles, seine ganze Welt stand in Flammen.

Es ist noch nicht soweit, dass die ganze Welt wieder in Flammen steht. Es gibt aber viele Brandstifter, die Tag für Tag kleine Feuer legen, die zwar noch ausgetreten werden, aber immer wieder Opfer fordern und von Tag zu Tag größer und schneller brennen. Die kleinen Feuer führen dazu, dass wieder Menschen in Deutschland sterben, weil sie einer anderen Nation oder Religion angehören. Die kleinen Feuer führen dazu, dass Hass auflodert, dass Unsicherheiten und Angst in die Herzen der Menschen eindringen. Die kleinen Feuer führen dazu, dass Menschen ihre Augen, ihr Herz und ihr Hirn verschließen.

Streit, Wahnvorstellungen, Verleumdungen, Verschwörungsmythen und Lüge schwirren jeden Tag mehr in unseren Gesprächen, in den Köpfen der Menschen herum. Geschaffen und genährt von Menschen, die sich als Menschenfreunde präsentieren und doch nur sich selbst im Sinne haben, ja schlussendlich teuflisch sind. Dort wo sie in Feuer ausbrechen, gibt es einer der das Zündholz nahm und viele die das Brennholz richteten.

Gegen die Gewalt in Wort und Tat ist keine Macht gewachsen. Polizei, Gerichte, Staatsgewalt ist gegen all das nicht stark genug. Allein der Verstand, die Ratio und das Gefühl der Mitmenschlichkeit, der Nächstenliebe, der Liebe selbst kann gegen das Böse antreten.

Und genau für diesen Kampf steht der Mandelzweig. Ein Windhauch lässt ihn erzittern. Starker Regen vernichtet die Blüten, heiße Sonne verdorren – und doch erwächst aus diesem schutzlosen Ding, etwas Hartes und Süßes. Wenn man es zulässt.

Lassen wir es zu. Wenden wir uns ab von dem was diese Welt zerstört, hin zum Mandelzweig, denn er blüht und erinnert uns an die eine Chance!    

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