Israel 2017 Dreizehnter Tag

Nachfolge! Geh und verkaufe alles was du hast – darum ging es heute im Tagesevangelium. Radikales ausrichten auf Jesus. Radikal aber nicht weltfremd. Da ist die Schnittstelle, die Schwierigkeit bzw. die Problematik in eine Richtung ganz zu rutschen. Den Menschen, denen wir heute „Begegneten“; Maria, Anna, Joachim, Abraham und Isaak und vielen anderen Gottsuchenden und Gottgläubigen ist dies absolut zu eigen. Sie haben sich ganz und gar diesem Gott zur Verfügung gestellt. Jeder in der Form die für ihn selbst passend war. Schlussendlich findet sich bei all diesen Personen kein „Verbiegen“ sondern allein die Verstärkung jener Charismen, die Gott ihnen geschenkt hat um seinem Ruf folgen zu können. Sie nutzen das, was ihren geschenkt wurde – das mag eventuell die intensivste Form des Gottesglaubens sein. Mensch zu sein in seiner Ganzheit, ausgerichtet auf Gott und den Mitmenschen.

Es ist schon so eine Sache mit Gott und mir der Religion. Wir wanderten heute durch die drei Religionen und blieben doch irgendwie nah beieinander. Jerusalem ist nämlich nicht nur Stadt der drei Religionen sondern auch Sinnbild der Gemeinschaft, der Gemeinsamkeiten der Religionen.

Gestartet sind wir am Morgen an der Westmauer, also der Klagemauer, das aktuell wichtigste Heiligtum der Juden. Hier, am letzten Rest des Tempels sind sie nahe bei Gott stehend zwischen der Trauer um den Verlust und der Hoffnung auf den neuen Tempel und das nahende Weltenende mit der Auferstehung der Toten und dem ewigen Frieden. Die Klagemauer war aufgrund der Uhrzeit stark besucht, denn es war die Zeit des Morgengebetes. Die Gebetsform, die intensive Ausrichtung auf das Gebet und auf die Bibel als Mittelpunkt lässt sich hier erspüren. Gewänder, Haltung, Gerätschaften und Bücher zeugen von einer Gottgläubigkeit in der auch wir unsere starken Wurzeln haben. So beten wir zwar nicht täglich das Shma Israel, das Höre Israel, der Herr der Einzige ist dein Gott, aber wir haben in diesem Vers, in diesem Lob oder Treueversprechen auch unsere Heimat und ziehen auch daraus den Stoff den es unter anderem braucht um Jesus den Christus als Sohn Gottes zu erkennen, weil auch Jesus als Jude in dieser täglichen Gebetstradition lebte.

Wir Christen werden hier an der Klagemauer nicht böse betrachtet oder aufgenommen. Wir sind jetzt nicht direkt eingeladen, aber auch wir können hier zusammen mit den Juden die Psalmen beten, dem gemeinsamen Gebet. Als ich das erste Mal hier war empfand ich eine tiefe Verbundenheit und das hat mich auf meinem weiteren Weg stark geprägt.

Nach einer langen Zeit des Warten kamen wir dann durch die weitere Schleuse auf die Brücke hin zum Tempelberg. Der Zugang für die Ungläubigen ist auf der westlichen Seite. Somit geht man direkt auf den an der Südseite stehenden Al Aqsa-Moschee und somit zur drittwichtigsten Moschee des Islam. Die Moschee ist recht unscheinbar und da wir auch hier nicht reinkommen gehen wir nur daran vorbei und gehen am Brunnen vorbei auf den Felsendom zu. Mit der goldenen Kuppel ist es das absolute Wahrzeichen Jerusalems und birgt – auch hier kommen wir Ungläubige nicht rein – einen Ort der alle drei Religionen vereint, denn hier stand eben nicht nur das Allerheiligste des jüdischen Tempels sondern ist der Legende nach auch der Ort an dem Abraham die Akhedar (Gen 22,2 ff.) vollzogen hat. An diesem Platz, an diesem Ort finden wir auch viele Szenen aus dem Leben Jesu (vgl. unter anderem Lk 2,41-50; Joh 2,13-17).

Ich habe mich irgendwie „Zuhause“ gefühlt. Gut konnte ich die Reduzierungen die der Islam hier vornimmt ausgeblendet und mit bewusst gemacht wie wichtig dieser Ort für mich ist. Es war intensiv hier und da mir eh schon seit Tagen ein Psalm im Kopf herumschwirrt merkte ich, dass dieser für diesen Ort für diesen Zeitpunkt absolut passt. Wer hier oben steht, muss genau dies beten und hoffen, was im Psalm 133 steht: „Seht doch, wie gut und schön ist es, wenn Brüder miteinander in Eintracht wohnen. Das ist wie köstliches Salböl, das vom Kopf hinabfließt auf den Bart, auf Aarons Bart, das auf sein Gewand hinabfließt. Das ist wie der Tau des Hermon, der auf den Berg Zion niederfällt. Denn dort spendet der Herr Segen und Leben in Ewigkeit.“ – Wäre es nicht schön, wenn wir das hier auf dem Tempelberg mit Blick auf dieses Land eines Tages sagen könnten? Hier sollte und muss sich dieser Psalm verwirklichen. Das ist Sehnsucht, das ist meine Hoffnung. Ich denke nämlich nicht, dass das Heil der Welt anbricht, wenn eine Religion die andere hier verdrängt. Vielmehr denke ich, dass das Heil der Welt anbricht, wenn eben alle als Brüder in Eintracht leben und Frieden herrscht. daher will ich mir vornehmen noch öfters für Jerusalem, für unsere Religionen zu beten, dass Kommunikation und gemeinsame Hoffnung beginnt, damit Frieden anbricht.

Wahrlich, ich bin kein großer Theologe. Für viele sogar ein großes Dummerchen. Sicher bin ich zu gutgläubig oder zu Hoffnungsvoll aber wenn ich in meinem Glauben leben kann und in Respekt vor den anderen Gläubigen die an einen Gott glauben, auf diese zugehen kann und will – dann müssten das auch die Hochgelehrten und wirklich gescheiten Leute können.

Nach dem Besuch auf dem Tempelberg, nach diesem emotional so starken Einstieg in die geistliche Dimension Jerusalems ging es zurück in unser Quartier um dort ein Referat zum Thema „Islam“ zu hören. Unser Mitbruder hatte uns wieder eine große Fülle an Fakten vorbereitet. Wunderbar wie viel er zu berichten hatte und wie intensiv er uns mit hineinnahm in die Theologie des Islams. Bewundernswert wieviel er in seinem freien Referat uns vortragen konnte. Das Referat war und ist eine gute Grundlage um weiterzudenken bei all den Eindrücken, die wir im Bezug auf den Islam und das Zusammenlebend er Religionen hier noch erleben und erfahren werden.

Zu Mittag hatten wir eine Gottesdienstvereinbarung in der Basilika Sankt Anna. Es ist echt etwas besonderes, dass wir jeden Tag miteinander die Eucharistie feiern können an so vielen verschiedenen und besonderen Orten.
Die Basilika Sankt Anna ist der Legende nach über dem Wohnhaus der Eltern Mariens gebaut. Hier sollen Anna und Joachim die „Großeltern“ Jesu gelebt haben. Die Basilica Minor liegt in der Altstadt, in nächster Nähe des Löwentors. Auf dem gleichen Grundstück liegt auch der Bethesda-Teich von dem wir in der Perikope Joh 5,1-15 hören. Hier heilte Jesus einen Behinderten an einem Shabbat.
Die Teichanlage ist riesig und zeigt wie die Struktur der Stadt, gerade auch im Bezug auf den Tempel hin ausgerichtet war. Die Kirche daneben, einem Nachfolgebau vergangener Zeiten, aus dem Jahre 1142 (Kreuzfahrerbau) ist ein schlichter romanischer Bau mit einer Krypta. Einige Schriftzeichen verraten noch die zeitweilige Zweckentfremdung in eine Koranschule. Wir feierten die Messe in der Krypta. Welch eine Stille in dieser so lauten und lebendigen Stadt.
Fasziniert und berührt (Entschuldigung für diese inflationäre Verwendung des Wortes in den letzten Tagen, aber so ist das) war bzw. bin ich von dem Mönch, der Dienst hatte in der Kirche. Voller Hingabe, voller Offenheit ging dieses Mitglied der Ordensgemeinschaft der Weißen Väter, die die Betreuung für diese Kirche übernommen haben, auf alle Pilger zu: Egal in welcher Sprache, egal aus welcher Religion – für alle hatte er ein Lächeln, oft eine Umarmung und ein freundliches Wort der Ansprache. Dieser Mann strahlte in seiner Schlichtheit eine Würde aus, eine Liebe, eine Form des Respekts die faszinieren ist. So sollten wir, Seminaristen wie auch Priester, von unserem Glauben zeugen. Dieser Mann lebt und brennt ganz und gar für die Sache Jesu Christi und zeigt das auch.

Nach einer Mittagspause machten wir uns auf zur Grabeskirche. Was wir hier erlebt haben, wie die Kirche auf mich wirkt, werde ich gesondert beschreiben. Das ist einfach viel zu viel und ich denke, dass man sich die Grabeskirche nicht mit einem Besuch (bzw. mit meinem zweiten) erschließen kann. Am Aschermittwoch werden wir unsere Messe dort am Morgen haben und ich denke, dass ich diesen Termin auf alle Fälle noch brauche um irgendwie meine Gefühle Gedanken und Erfahrungen zu benennen.

Israel und Jerusalem ist witzig, das auf alle Fälle allein schon aufgrund der Tatsache, wen ich alles so hier treffe. Am Abend des Montags konnte ich mich mit einem lieben Freund treffen, den ich seit sicher vier Jahren nicht mehr gesehen habe. Er begleitet aktuell eine Gruppe zu einem Schüleraustausch und zwar zu jenem Austausch der aus jener Reise vor zehn Jahren heraus entstanden ist. Die Heimschule Lender hat nun also seit zehn Jahren diesen Kontakt und Schülerinnen und Schüler aus Sasbach und Jerusalem begegnen sich jedes Jahr um gemeinsam ein künstlerisches Projekt zu erarbeiten. Das ist direkte, echte und wahrscheinlich effektive Friedensarbeit, denn es ist mehr oder weniger „Graswurzelarbeit“. Mit Adrian habe ich mich also am Abend noch treffen können. Darüber bin ich echt dankbar, dass ich solche zeit mit Freunden und lieben Menschen geschenkt bekomme.

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