Welcher Laden hat heute offen, bekommen wir heute Brot oder wo können wir noch schnell was zum Trinken kaufen. Das waren die Fragen für den heutigen Tag, denn es ist zwar Sonntag und wir sind in Nazareth – einer Stadt die wir irgendwie als grundsätzlich christlich einstufen und somit das Sonntagsgebot vermuten – aber wir sind nunmal nicht in Deutschland, und wir brauchen noch so manches für den Tag. Hier in Israel haben drei Religionen ihren Ruhetag. Die einen am Freitag, die anderen am Samstag und wir Christen eben am Sonntag. Der kleine „Vorteil“ an Nazareth ist, dass hier in der Stadt selber keine Juden leben somit gibt es nur den Freitag und den Sonntag den es zu beachten gibt. Und so haben dann auch doch recht viele Geschäfte offen in der Stadt.
Gemeinsam haben wir den Sonntag schon gestern Abend, mit der ersten Vesper begrüsst (und mit der anschließenden Lichterprozession). Heute am Tag selber begingen wir den Sonntag mit der täglichen gemeinsamen Laudes und gingen dann, nach Frühstück und Spülen runter zum ehemaligen Kloster der armen Klarissen von Nazareth. Dieser Orden ist in diesem Haus nicht mehr, trotzdem gibt es auch hier weiterhin eine Gemeinschaft mit Tradition. Besonders „berühmt“ ist dieses Kloster weil der sel. Charles de Foucauld hier ca. drei Jahre ab dem Jahr 1897 hier als Klosterknecht lebte. Heute leben Männer hier die dem Seligen nachfolgen und hier ihren Dienst an Gott und den Menschen leben. In der kleinen Kapelle des Klosters feierten wir unsere Sonntagsliturgie.
Nach der Liturgie hatten wir die Möglichkeit zu einem kleinen Gespräch mit einem der Brüder, der seine Arbeit und das Leben hier vorstellte. Ein kleiner Spaziergang durch den Garten konnten wir dann auch noch machen. Der Lärm der Straße dringt herein und doch findet man hier ein bisschen Ruhe und die Zeit scheint ein bisschen langsamer zu laufen.
Mit dem Seligen habe ich mich in der Weihnachtszeit und ganz besonders in den Schweigeexerzitienim Januar beschäftigt. Ich habe mich mit seiner Biographie beschäftigt und einige seiner Texte und Briefe gelesen. Es gibt viele Punkte in seinen Texten und Briefen die mir nicht gefallen haben, die mich auch echt auf Abstand gesetzt haben. So habe ich zum Beispiel ein Problem mit dieser intensiven Todessehnsucht, mit dieser Nachfolge im Sterben. Fast erscheint das, wie wenn die einzige richtige Nachfolge die des Blutzeugnisses ist. Ich will das Martyrium nicht ablehnen, wenn es kommt, dann hoffe ich stark zu sein, aber hier bei diesem Seligen und bei einigen anderen Themen zur Lebensform erlebe ich ihn so radikal, so Lebensnegativ. Das gefällt mir nicht.
Sein Missionbild gefällt mir jedoch recht gut. Langsam und stetig arbeiten, nicht schnellen Konversion, sondern Vorleben was der Glaube ist und Freunde werden, Nähe zu schaffen zwischen jenen die Jesus den Christus nicht kennen und denen die seine Botschaft leben. Mission – wir würden heute Evangelisierung/-Neuevangelisierung sagen – ist kein schneller Akt sondern ein Prozess, ein sehr langer Prozess, so wie der Glaube selbst auch ein Prozess, eventuell eine weitere Stufe des Konversionsprozesses ist. Wer glaubt ist ja auch nie fertig – zumindest nicht auf Erden, in diesem Leben. Dieses Bild der Mission und dann seine spätere Erkenntnis, dass er einen Dienst des „Urbarmachens“ leistet und erst die nächsten Generationen Sähen und Ernten können, gefällt mir. Kurz vor seinem Tod musste Charles erkennen, dass keiner der Tuareg zum Christentum konvertiert ist, aber das war nicht für ihn ein Versagen sondern eben ein Erkennen, dass dieser langsame und tiefe Prozess eben mehr braucht als nur ein paar Samen zu säen. Auch das „Feld“ muss erstmal so hergerichtet werden, dass der Samen überhaupt einen Grund findet um Wurzeln zu schlagen. Ich finde das gute Gedanken, die wir heute in der Pastorale auch im Blick haben sollten, gerade Priester sollten das im Blick haben und nicht verzweifeln weil sie aktuell nur an allen Ecken und Enden Wegfall und Verlust erleben.
Ein Zitat von Charles hatte ich noch gefunden, das mich auch angesprochen hat: „Man spürt nicht immer, dass man liebt und das ist ein zusätzlicher, tiefer Schmerz! Aber man weiß, dass man lieben möchte; und lieben wollen ist lieben. Man findet, dass man nicht genug liebt: Wie wahr ist das! Wir werden nie genug lieben! Aber der liebe Gott, der weiß, aus welchem Lehm er uns gemacht hat, und der uns nun noch viel mehr liebt als eine Mutter ihr Kind lieben kann, hat uns gesagt, dass Er niemanden, der zu ihm kommt, abweisen würde – und er lügt nicht“.
Nach dem Besuch im Kloster machten wir uns auf den Weg auf den Mount Precipice. Dieser Berg erinnert an die Textstelle im Lukasevangelium in der Jesus in Nazareth predigt und von den Bewohnern zur Stadt hinaus, auf einen Berg getrieben wurde. Am Abhang des Berges wollten sie ihn runterstürzen (vgl. Lk 4,28-30). Der Weg dahin war für uns heute nicht schwer. Die Strecke war durchgehend gepflastert und wir mussten nur zur Stadt hinaus in Richtung Schnellstraße und dann den flachen Berg von 395 Meter Höhe hinauf. Unangenehm war das, was am Straßenrand so zu finden und zu riechen war. Müll und Unrat und so manches was heftigst roch lag am Wegesrand. Überraschend war dann der schöne Park der uns oben erwartete, mit Blumen und niedrigen Bäumen und einer schönen Aussichtsplattform. Kurz vor dem Park kamen wir an jenem Gelände vorbei auf dem Papst Benedikt XVI. im Jahr 2009 die Messe vor gut 40 Tsd Menschen feierte. In seiner Predigt sagte er damals: „Laßt uns hier erneut unsere Verpflichtung bekräftigen, in der Welt, in der wir leben, Sauerteig des Respekts und der Liebe zu sein. Der Berg des Absturzes gemahnt uns, wie schon Generationen von Pilgern, daran, daß die Botschaft unseres Herrn für jene, die sie hörten, manchmal eine Quelle des Widerspruchs und Konflikts war.“ – Die Reaktion der Nachbarn Jesu war hart, aber sie erinnert mich heute daran, dass es noch immer viele Christen auf dieser Welt gibt, die von anderen verfolgt werden. So verfolgt, dass es zum Tode führt, aber auch unterschwellige Verfolgungen oder Beleidigungen oder Negierungen der Person und des Glaubens gehören dazu.
Der Tag war voller Sonne heute. So ein richtig schöner erster Frühlingstag an dem man hier in der Stadt all die Streitereien in der Stadt und im Land vergessen kann. Nach dem gemeinsamen Ausflug auf den Berg spazierte ich in aller Ruhe noch ein bisschen alleine durch die Stadt. Sie ist wirklich keine Schönheit diese Stadt, trotzdem hat sie was. Im Sonnenlicht strahlt die Farbe des Steines aus dem die meisten Häuser gebaut sind. Und bei dieser Sonne, bei diesem Licht vergisst man wirklich welch traurige Situation in diesem Land herrscht.
Um mich auf dieses Land vorzubereiten habe ich einige Bücher gelesen. Ich habe auch noch zwei Bücher mit dabei. Eines davon habe ich in den letzten zwei Tagen nochmal zur Hand genommen und ein paar Stellen, die ich mag und die mich beschäftigt haben nachgelesen. Es handelt sich um das Buch eines ganz besonderen Freundes aus Rom, der viele Jahre hier in Israel gelebt und gearbeitet hat. Jörg hat in seinem Buch (Unheiliger Krieg im Heiligen Land) eine ganz persönliche Biographie seines Israels beschrieben. Das was ich hier gelernt habe in diesem Buch hat mich gefesselt und geprägt und ganz besonders die Worte seines letzten Kapitels in dem er sich von Jerusalem verabschiedet, von einer Stadt die ihm Heimat wurde, trotz alldem was hier so unheiliges geschieht. Das Buch schenkte mir Hoffnung, dass in all den Fehlern, in all dem Versagen der Politiker hier und auf der ganzen Welt, dieses Land irgendwann doch Frieden findet, zum Wohle aller. Ich glaube aber, dass dies zwischenzeitlich allein nur dann geschehen kann, wenn die Religionen wieder lernen, dass Gott den Frieden und die Liebe von uns fordert, denn er ist Liebe und Friede.
Anderseits hat mich ein Zitat (auf Seite 43) stark in der Meinung bestätigt, dass die heutige Lage in Europa und im Nahen Osten nicht etwas spontanes ist, sondern die Folge eines langen Prozesses ist, in dem wir alle Fehler begangen haben. Es wird also Zeit die Augen nicht mehr zu verschließen sondern ernsthaft die Probleme unserer Zeit anzugehen. Die Katastrophen unserer Zeit, der Hass, der Krieg, die Flüchtlings-ströme, die Gewalt und die Zerstörungen des Lebens und der Welt sind zu beenden. Sie sind von uns zu beenden, denn sie sind von uns allen geschaffen durch wegsehen und durch das Ausnutzen andere zum Wohle der westlichen Welt, zum Wohle und Nutzen Einzelner die Macht und Wohlstand wollten. Egal was es koste, egal mit welchen Folgen. Und auch hier bin ich der Meinung. Die Religionen – ganz besonders die christlichen – haben die Aufgabe endlich wieder eine moralische Instanz zu werden, damit sie hier eingreifen können und somit nochmal Vorbild werden können für die anderen Religionen.
Das Buch von Jörg – verbunden mit den vielen Gesprächen die ich mit Jörg und Christiane hatte – haben mich geprägt und gebildet und ich bin beiden so ungemein dankbar, dass ich diese beiden so besonderen Menschen schon nach so einer kurzen Zeit in Rom zu Freunden zählen kann. Ich habe einen größeren Horizont bekommen, der mir hier im Land hilft.
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