Und sie hielten Nachtwache

Bei der heutigen Bibelstelle merkt Björn Siller, Referent für die Pastoral im Internet in der Erzdiözese Freiburg, wieder einmal wie eng beieinander die Texte der Weihnachts- und der Kar- und Osterzeit sind und erinnert sich dabei an seine erste Nachtwache im Leben.  

„und (sie) hielten Nachtwache bei ihrer Herde.“

Lukasevangelium 2,8

Er hatte so seine Schicksäler, der alte Mann. Er hat die Liebe seines Lebens geheiratet. Dafür musste er die katholische Kirche verlassen und neuapostolisch werden. Er musste akzeptieren, dass das Kind, das seine Liebe zur Welt brachte, nicht seines war. Er beging Fehler und ließ viel mit sich machen, weil er zu schwach war. Und nun, nun sollte es ans Sterben gehen. 

Ich hatte ihn besucht. Nachmittags. Er war unruhig. Er wollte sterben. Aber er konnte nicht. Und ich musste den ganzen Tag an ihn denken. 

Es gab da bei ihm etwas was sich nicht regeln ließ. Und ich konnte nicht schlafen und ging wieder ins Krankenhaus. Er war wach. Er schaute mich an und ich blieb lange. Irgendwann nach einer Zeit des Schweigens wollte er beten. Nie hatte ich ihn religiös erlebt. Aber er bat um das Vaterunser. Zögernd stieg er ein. Dann sprach er die ersten Worte des Ave Maria … Ein langes Schweigen danach und dann die Bitte: Nun nimm denn meine Hände … Wir sangen es. Wir sangen noch viel, beteten den Rosenkranz und in eine Pause hinein konnte er es sagen: Ich habe Angst! Nicht vor dem Tod hatte er Angst, sondern vor dem, was ihn erwartete. Dort, auf der anderen Seite, er sehnte sich hier als ehemaliger Katholik nach den Riten und Sakramente seiner Kindheit. Die gab es aber nicht. Ich war jung, ich wusste nicht, wie ich ihm helfen konnte. 

Mir blieb in jener Nacht nicht viel. Außer zu bleiben, zuzuhören, mit ihm zu wachen und zu beten. 

Als ich dann ging, schlief er. Er starb kurz darauf. 

Was hat ihm meine Gegenwart gebracht? Seine Ruhe in jener Nacht lassen mich eine Antwort hoffen. Für mich war es eine der eindrücklichsten Nächte meines Lebens. Und bei diesem Wort im Lukasevangelium „und sie hielten Nachtwache“ vermischen sich diese Bilder: Die Nachtwache bei den Herden, die Nachtwache auf dem Ölberg, jene meine erste Nachtwache am Bett eines Sterbenden die mir gezeigt haben, wohin mein Weg gehen sollte. Ich wollte die Möglichkeit solcher Nachtwachen zu einem Aspekt meines Lebens machen, denn damals wie heute stelle ich mir Seelsorge so vor: Zeit haben, um mit Menschen wachen zu können.