Schon mal, vor einiger Zeit in Rom ist das „Antlitz Gottes“ ein Thema gewesen. Damals gab es eine Feier zum Schleier von Manopello, das mit dem Schweisstuch der Veronika identisch sein soll. Dazu hatte ich die Ehre zu ministrieren, naja ich durfte Zeremoniar sein bei einem Pontifikalamt. Zu Deutsch: ich durfte die Brille des Bischofs halten, die Ministranten anweisen und auf seine Predigt aufpassen 😉 Es war aber eine ungemein schöne und tiefe Veranstaltung damals.
Das kam mir nun in den Sinn als wir die Messe an der VI. Station feierten. Also in jenem Kirchlein, das an die Begegnung zwischen Jesus und Veronika erinnert. Ein bisschen unter dem aktuellen Straßenniveau liegend, konnte man sich gut vorstellen, dass man nahe der historischen Stelle betet (wohl wissend, dass die Via Dolorosa eine „Erfindung“, also eine Einordnung der Franziskaner nach 1340 war).
An der Altarwand des Kirchleins hing, dunkel, ja fast ganz schwarz vom Rauch der Kerzen eine Kopie des Schweisstuches. Kaum kann man dieses Gesicht erkennen, das sich darauf zeigt.
„Wann darf ich kommen und Gottes Antlitz schauen“, betet der Psalmbeter des 42. Psalm. Hier ist das Antlitz Gottes sehen, wohl gleichbedeutend mit der Rettung durch Gott, so wie es der Psalmist ja anspricht, dass in Gott die Rettung ist. Im Gebet suche ich also Gottes Antlitz. Im Gebet finde ich Ruhe wenn ich ihn schaue, so wie auch Mose ruhe findet wenn er Gott gegenübersteht.
Im Psalm 105 steht: „Alle, die den Herrn suchen, sollen sich von Herzen freuen. Fragt nach dem Herrn und seiner Macht; sucht sein Antlitz allezeit!“ Da zeigt sich, beten ist das Antlitz Gottes suchen. Nicht nur das Sehen ist das Ziel, sondern schon das suchen, das sich annähern an das Antlitz Gottes. Im Alten Testament zeigt sich jedoch noch, dass wir Menschen Gott nicht ins Antlitz schauen können, auch wenn wir im Aaronitischen Segen noch uns zusprechen: „Der Herr wende dein Antlitz zu …“ (vgl. Num 6,24-26) – erreichbar ist dieser Zustand nicht lebend. Deshalb lässt Gott Mose ja auch zu einem späteren Zeitpunkt ihn nicht mehr direkt sehen, weil er sonst sterben würde (Ex 34,6).
Hier in dieser kleinen Kapelle an der VI. Station wird mir klar, dieses Problem nicht mehr besteht, denn Gott schauen bringt mich nicht mehr zum Tod. Gott schauen kann ich in der Annäherung an Jesus. Jesus ist das Antlitz Gottes, das wir Christen finden können. Dafür steht das Schweißtuch, es zeigt und verspricht uns, dass ich als normaler Mensch, einem Menschen der wie Veronica einfach am Straßenrand steht, auch Gott sehen kann.
Es gibt aber noch eine weiter Möglichkeit das Antlitz Gottes zu schauen. Walter Kardinal Kasper spricht (1994) in einem Buch davon, dass wir das „Antlitz Gottes im Antlitz des Menschen“ finden müssen. Die Nächstenliebe, die tätige Liebe zeigt uns ein lebendiges ein prägendes Antlitz Gottes. Wenn wir weiter gehen, ja geradezu tiefer, dann können wir mit Benedikt XVI. sagen, dass das Antlitz Gottes sich in der Würde jeder Person spiegelt (vgl. 01.01.2010). Der Mensch ist damit die Mitte der Schöpfung und bekommt eine besondere Rolle, als Ebenbild Gottes.
Während ich auf der einen Seite als Christenmensch mich darum sorgen darf, dass ich den Mitmenschen erhebe, achte und ehre, weil er ein Ebenbild Gotte ist und ich neben dem Gebet den Dienst am Menschen als Annäherung an das Antlitz Gottes leisten darf, gibt es für mich, der sich in besonderer Weise an Gott und den Menschen annähern darf noch eine weitere Perspektive, eine weitere Verpflichtung auf das Antlitz Gottes hin. Ich darf und soll in meinem Tun, meinem Handeln nicht nur das Antlitz finden, sondern ich muss so handeln, so leben, so reden, dass ich in bestimmten Momenten – zum Beispiel in der Eucharistie – zu einer Ikone, zu einem Abbild des Antlitzes werde, zum Wohle und zum Segen der Menschen. Priester sein bedeutet somit auch, die Liebe, die sich im Sehen des Antlitz ausdrückt, im Leben durchscheinen zu lassen. Ich muss so, durch Gebet, Anbetung und Handeln von diesem Antlitz angestrahlt werden, dass ich diese Strahlen weitergebe an jene, die gerade im Schatten sind, an jene, die das Licht nicht sehen wollen oder gerade nicht können. Damit löse ich mich als Mensch auf und biete mich ganz Gott und ganz dem Menschen an, als Diener dar. Priester sein sollte – so denke ich in der Hochform – Ganzhingabe sein. Das ist das Ziel, ob ich es erreiche, das weiß ich nicht, hoffe es, bitte darum, wohl wissend, dass ich nur Mensch bin, versagend, zweifelnd, unfrei in meiner Freiheit.
Das Antlitz Gottes sehen – das ist das Ziel. Es ist in allen Menschen, das habe ich geschrieben. Leider wird es aber immer wieder verdeckt, von den Menschen selber, wenn sie das Antlitz, durch Boshaftigkeit oder indem sie dem Satan die Macht geben, verdunkeln ja ganz verdecken. Dass dies geschieht, ja dass dies gerade in unserem letzten Jahrhundert zu oft in einer Radikalität geschehen ist, die wahrlich unvorstellbar war, daran wurden wir in Yad Vashem erinnert. Hier zeigt sich, dass das Antlitz Gottes verdunkelt wurde und in einer gedanklichen Schlussfolgerung wird, hier zeigt sich, was geschieht, wenn die Menschen sich nicht mehr auf das Antlitz ausrichten, sondern sich abwenden. Zwar gibt es scheinbare Gegenargumente aber ich glaube wahrhaftig: Ein Christenmensch der das Antlitz Gotte sieht, im Gebet, im Handeln ist nicht in der Lage, andere Menschen zu negieren und an Leib und/oder Seele zu töten. Christ sein hindert an Gewalt. Jede Gewalt in Christi Namen ist Lüge, denn es kann keine Gewalt in Christi geben.
Das Antlitz Gottes sehen ist also mehr als nur ein Bild betrachten. Es ist einfach mehr. Es ist Leben in der Fülle Jesu Christi.