Kirche der Bürokratie?

Im Jahr 2016 erschienen die „Letzten Gespräche“, das vierte Interviewbuch mit Joseph Ratzinger/Vater Benedikt. Wir erlebten damals einen recht persönlichen Papst und ein leider sehr schlecht bearbeitetes Buch, das sich mit Fehlern und einem schlechten Lektorat präsentierte. Manch eine Aussage darin schlug Wellen. Leider oft nicht so, dass es zu einem Nachdenken kam. Die Worte Benedikts zum Thema Deutschland brachten starke Reaktionen. Er sagte damals u. a. „Das ist, glaube ich, die große Gefahr der Kirche in Deutschland, dass sie so viele bezahlte Mitarbeiter hat und dadurch ein Überhang an ungeistlicher Bürokratie“ (Benedikt XVI.; Letzte Gespräche S. 247) — Liegt er denn hier so falsch?

In der Weihnachtsansprache des Jahre 2014 präsentierte Papst Franziskus den versammelten Kurienleitern fünfzehn Krankheiten der Kurie. Damals formulierte er unter Punkt 4.: Zu viel planen: „Es ist nötig, gute Pläne zu machen. Aber verfallt nicht der Versuchung, die Freiheit des Heiligen Geistes einzuschließen oder zu dirigieren, denn er ist größer und großzügiger als jeder menschliche Plan„. In seinem neuesten Interviewbuch ging Papst Franziskus nochmal auf diese fünfzehn Krankheiten ein und diagnostizierte sie uns allen, bzw. warnte uns alle davor. Auch hier gibt es den Punkt vier, der sich aber wie folgt anhört: „Die vierte Krankheit ist die des Planungswahns und des Funktionalismus: Wer alles minutiös durchplant und glaubt, dass die Dinge nur dank seiner perfekten Planung Fortschritte machen, wird zu einem Buchhalter, einem Betriebswirt der Existenz. Die Freiheit des Heiligen Geistes lässt sich nämlich nicht in ein Programm einsperren. Der Heilige Geist bringt dir Frische, Phantasie, Neues – achte auf die Ähnlichkeit zum Begriff des Jungseins, von dem wir gesprochen haben.“ (Franziskus; Gott ist jung, Freiburg 2018. S. 42) – Haben wir das in Deutschland, im Land der Bürokratie, der Verbände und der Strukturpapiere verstanden????

An diese und viele andere Zitate muss ich in den letzten Tagen viel denken. In den letzten Tagen, weil ich immer wieder – aktuell sehr bewusst – Menschen innerhalb der Kirche erleben, die sich lieber auf Versicherungen und auf ihre Strukturpläne, Konzeptionen und Listen zurückziehen statt mutig nach vorne zu gehen. Ich erlebe an vielen Punkten eine abgesicherte Kirche. Eine Kirche, die sich so verschanzt hinter Regeln, Gesetzten und Normen, dass es schwer wird noch zu leben, noch eine Kirche zu sein in der es windet und in der der Staub aus den Ecken hinweggefegt wird.

Aktuell schlagen wir uns alle mit der Datenschutzrichtlinie rum. Nicht jene der EU sondern einer Richtlinie, die von kirchlicher Seite eingeführt wurde und die an vielen Stellen zu Unklarheit führt und Kommunikation und Medienarbeit zerstört oder zumindest behindert. Bistümer führen Mail-Systeme ein, die dazu führen, dass jeder, der nicht zwingend muss, jeden Kontakt vermeidet. Facebook, Instagram, Whatsapp und Co. werden nun wieder zu „bösen Buben“ negiert und so manch einer fordert den Ausstieg der Kirche aus den Social Media. Der Satz: „Technik rettet uns nicht“ und viele ähnlichen Sätze, die grundsätzlich stimmen, werden pauschal und unreflektiert verbreitet um Kirche im Bereich des Digitalen und der Kommunikation einzuschränken. Ein Zukunfts-Pessimismus bekommt hier Raum, der gefährlich wird. Dabei vergessen gerade jene, die die heutigen Formen der Kommunikation negieren, dass Kirche vom Wort lebt und Kirche der Raum einer „Ur-Kommunikation“ ist. Wenn es eine Institution gibt, die das von sich behaupten kann, dann hat das Christentum Kommunikation „erfunden“. Mit einem Gott der dialogisch ist, der logos wurde begann die Möglichkeit echter Kommunikation ganz neu. Die neuen Richtlinien aber und jene Menschen, die sich hier als die großen Retter aufspielen, sind eher die Gefahr für die Kirche. Wir brauchen Theologen (auch Kanoniker) die den heiligen Geist wehen lassen und nicht Juristen. Wir brauchen Abschied und Widerstand von einer juristisch eingeengten Welt hin zu einem Leben voller Freude, Überraschungen und Zumutungen.

Das ist aber nur ein Thema. Deutsche Brandschutzverordnungen zerstören manch ein Alltag, behindern Glaubenspraxis und die Nutzung von jahrhundertealten Räumen in den Kirchen. Gut gemeinte Arbeitsschutzverordnungen, finanzielle Regelungen lassen uns zu einem schlingernden Tanker auf dem Ozean werden. Wir haben Strukturpläne und Konzepte, die eher Visionen verhindern als dass sie Kirche wachsen lassen – das und vieles mehr können wir in der Kirche sehen.

Jetzt mal ein bisschen hart und zugespitzt: Ich kenne kein mutiges Papier jüngeren Datums in der deutschen Kirche, das wirklich den heiligen Geist walten lässt. Es sind meist verschrobene Worthülsen, die juristisch abgesichert ein Wohlgefühl schaffen wollen, aber spätestens beim dritten Mal lesen nichts als einen schalen Nachgeschmack hinterlassen. Nicht dass wir uns hier falsch verstehen. ich bin mir bewusst, dass wir Verwaltung brauchen und ich negiere dies auch nicht, ich will ein Nachdenken und ein Abschiednehmen von einem immer mehr Verwaltung. Ich will auch keine Revolution oder einen Umsturz in allen Lagen. Ich will eine Kirche, die sich der Fragen ihrer Zeit aus dem Glauben, aus dem Gebet und Gespräch mit und zu Jesus Christus stellt. Ehrlich, menschenfreundlich und christlich, der Offenbarung und der Tradition verbunden.

Ich liebe meine Kirche, ich bin katholischer Christ, der all die vielen schönen Traditionen liebt, der sich auch gerne geborgen fühlt in dem was wir von unseren Ahnen bekommen haben. Ich liebe es in einer Heimatgemeinde das kleine Gemeindeleben zu leben. Ich tanke in der Eucharistie Kraft und finde Ruhe in der Anbetung. Stundengebete, Wegkreuze, Heiligenfrömmigkeit – all das gehört zu meinem Leben – aber auch die Freude an der „Utopie“ der Botschaft Jesu Christi, an der Hoffnung auf eine bessere Welt, die wie uns Christus versprochen hat, schon hier beginnen kann. In all meiner Glaubensfreude werde ich traurig, wenn ich wieder mal eine Verordnung vorgelegt bekomme, wieder einmal sich jemand dank einer Liste absichert, oder sich hinter vermeintlich absoluten Regeln versteckt um seine Feigheit Entscheidungen zu treffen versteckt. Traurig und wütend werde ich, wenn Gebräuche und Sitten, Gewohnheiten oder geistiges Versagen und Kleinheit Grund dafür sind, dass wir nicht mutig vorwärts gehen und eine junge Kirche sind und werden.

Mit all unseren Fragen stehen wir an einem Punkt, wo die Fragen nicht neu sind. Sie sind abgedroschen, angestaubt und meist mit Antworten versehen, die wirklich nicht funktioniert haben. Wenn ich die Texte das II. Vatikanum lese, wenn ich das Papier „Unsere Hoffnung“ von Würzburg und viele andere Papiere, Reden, Enzykliken etc. in die Hand nehme, dann merke ich immer und immer wieder: Antworten sind da, wieso setzten wir sie nicht um? Wieso bleiben wir kleingläubig und verstecken uns hinter Versicherungen und unseren Ängsten? Wieso lassen wir uns nicht umgestalten zu einer Kirche Christi, in der die Offenbarung sichtbar wird, in der der Heilige Geist weht?

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